750: Der Weiße Faden – Fotoausstellung
Ein Kunstprojekt für die Balance zwischen Individualität und gemeinsamen Werten.
Die Ausstellung zeigt Frauenportraits aus 20 Religionen und ihre Lebensgeschichten – getrennt voneinander. Die Frauen im weißen Gewand verzichten auf sämtliche Symbole – so steht allein der Mensch im Mittelpunkt, ohne Bezug zu Religion oder Kultur. Es geht um Respekt und darum, über unsere Vorstellungen und Vorurteile nachzudenken.
Die einfache Frage – WER ist WER – ruft auf zum Dialog über Kulturen, Religionen und den Umgang zwischen den Menschen.
„DER WEIßE FADEN“ ist der Name des Kunstprojekts der Fotografin Elena Kaufmann und der Journalistin Antje-Maria Lochthofen, das erstmals für einige Monate im Jahr 2021 Neugierige anlockte – und einlud, den Kokon zu betreten, der wie ein Ufo auf dem auf dem Platz vor dem Erfurter Hauptbahnhof gelandet schien.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Kaufmann in ganz Deutschland 20 Frauen der unterschiedlichsten Glaubensvorstellungen gefunden. In Erfurt begannen dann die Arbeiten. Jede Einzelne fotografierte Elena Kaufmann unter exakt identischen Bedingungen, und am Ende hat sie auch noch am Ausstellungs-Kokon mitgebaut, in dem sie die Porträts zeigte. Es geht ihr um Toleranz. Es geht ihr darum, den unvoreingenommenen Blick erneut zu erlernen. „Ich bin Ausländerin, habe in St. Petersburg studiert, aber man sieht es mir nicht an. Doch sobald ich den Mund aufmache, hört man den Akzent. Dann kommt sofort die Frage, woher ich komme.“ Nicht mehr die Person, sondern die Herkunft stehe dann im Mittelpunkt des Interesses. „Und natürlich sind Menschen, die anders aussehen und eine andere Religion leben, noch viel öfter mit solchen Frage konfrontiert.“ An der Muslimin etwa werde in solchen Momenten nur noch das Kopftuch gesehen. „Oft bleiben wir bei der Wahrnehmung unseres Gegenübers auf der Oberfläche, kleben nur ein Etikett auf diesen Menschen“, sagt sie. Ihre Fotos dagegen zeigen die Frauen. Manche lächeln, andere schauen ernst in die Kamera. Es sind stille Aufnahmen. Keiner Frau ist ihre Religion anzusehen. Über ihre Biografie und ihre Religiosität erzählen die sehr persönlichen Texte von
Antje-Maria Lochthofen. Es sind Texte etwa über Zurückweisungen einer Pfarrerstochter durch vermeintliche Freunde in DDR-Zeiten oder eine Frau, die im Daoismus ein entschleunigtes, besseres Leben lernt. Buddhistinnen, Sunnitinnen, eine Atheistin, kommen zu Wort. Aber die Texte stehen für sich. Der Betrachter mache sich sein Bild. Alle Versuche, die Texte den Personen zuzuordnen, würden irgendwann in er Erkenntnis eingestellt, dass dies schwerlich möglich sei, sagt Lochthofen. Erfahrungen, Glauben und Geschichte seien einem Menschen nicht anzusehen. Aber wenn man seine Geschichte kennt, ist Gemeinschaft zu spüren. „Und vielleicht ist es ja interessant, das Projekt kommt ausgerechnet aus dem – wie es heißt – säkularen Osten. . .“, sagt sie. „Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz machen Menschen kaputt. Unser Projekt will etwas dagegen tun. Wer sich Zeit nimmt wird stauen, wie ähnlich, wie nah wir uns sind. Es ein Angebot sich auf den Menschen einzulassen.“
Es ist ein Angebot, das nun nach Koblenz umzieht. Ob das Publikum in den alten Ländern anders reagiert als die Erfurter und ihre Reisenden auf dem Bahnhofsvorplatz, sei eine spannende Frage, sagt Elena Kaufmann. Das Projekt in Erfurt sei vor zwei Jahren sehr positiv aufgenommen worden. Vor allen von den jugendlichen Besuchern. „Das sind die ehrlichsten Kritiker“, sagt die Künstlerin. Begeisterung und Ablehnung würden von Teenagern unverstellt gezeigt. Die Gegend um den Erfurter Hauptbahnhof gilt als sozial schwierig. Doch der Kokon, Tag und Nacht für jeden zugänglich, blieb die meiste Zeit unbewacht. Gelobt wurde vor allem auch die friedliche Stille im Inneren des großen Weißen Raums. Und nur eine einzige Beschädigung an dem Kunstwerk gab es in Erfurt. „Jemand hat ein Stückchen Stoff aus dem Pavillon herausgeschnitten. Wie bei Christos verpacktem Reichstag.“ sagte Elena Kaufmann. „Das hat mich ein bisschen stolz gemacht.“